Der perfekte Züchter

Die Tränen des Himmels

Als der liebe Gott den Züchter schuf, hatte er schon sehr viele nützliche Dinge und wahre Wunderwerke erschaffen. Er war zufrieden mit sich und seiner Arbeit und blickte nachdenklich über sein Werk. Nach einer Weile murmelte er „Hm?! Ich brauche noch einen Wächter über das Leben. Jemanden, der mir helfen könnte, die Nebel der Unwissenheit zu lichten und neue Arten zu erschaffen, wenn die Zeit sich wandelt. Jemand zuverlässigen, der sie pflegt und sich auf der Erde darum kümmert.“

Seine Stirn legte sich in Falten und er wurde ganz still. Zwei kleine Engel, die damit beschäftigt waren, das goldene Himmelstor zu polieren beobachteten ihn dabei. Der kleinere von beiden zupfte verlegen an seinem Flügel und fragte: „Herr, über was denkst du so angestrengt nach?“

 

Der liebe Gott schaute ihn ratlos an und antwortete mit trauriger Stimme: „Ich erschuf die perfekte Mutter und den perfekten Vater. Nun erschaffe ich die Wächter für alle Tiere. Sie müssen viel Verantwortung tragen können und dafür sorgen, dass alles im Gleichgewicht bleibt.“

 

Er nahm den kleinen Engel beiseite und seufzte. „Ich habe hier noch einen Sack wertvoller Gaben. Darin finde ich Ehrlichkeit, ein Kännchen Humor, Perfektion, Fürsorge, Mut, Kraft, Wissensdurst, Idealismus, Geduld und starke Nerven. Von all dem habe ich noch genug. Aber zwei Zutaten sind knapp geworden, das sind die Liebe und der gesunde Menschenverstand. Die habe ich bei der Erschaffung der perfekten Mutter fast ganz verbraucht. Nun habe ich vielleicht nicht mehr genug Liebe und Verstand zu vergeben, die wichtigsten Gaben, die ich doch so dringend für all die Wächter – oder wir können sie in der modernen Welt auch Züchter nennen – benötige.“

 

„Herr ich habe eine Idee“, trällerte der kleine Engel zuversichtlich. „Wir machen einfach eine Liste und schauen, was wir noch so alles brauchen. Hast du denn spezielle Wünsche und Vorstellungen, wie deine Wächter sein sollten?“

 

„Ja das habe ich“, antwortete Gott und zwinkerte dem anderen Engel dabei ermutigend zu. „Das Wichtigste ist ein großes Herz! Ja, ein Züchter und Wächter muss ein großes Herz haben, mit viel Verständnis für Mensch und Tier. Es steuert die Macht, die ich den Züchtern in die Hände lege. Es trägt die Verantwortung und eine großes Last, denn es kämpft gegen die Gewinnsucht und gegen die Eitelkeiten. Der Verstand ist sinnlos ohne die Wärme des Herzens.“

 

Der kleine Engel schüttelte seine Schillerlöckchen, überlegte angestrengt und wiederholte andächtig: „AHAAA! Wenn der Mensch die verschiedensten Tierkörper nach seinen Vorstellungen formen darf, muss er sehr viel Herzenswärme bekommen, sonst gibt das eine Katastrophe.“

Der ältere Engel kicherte albern und malträtierte aufgeregt sein Kaugummi. Der kleine Engel fragte mit ernster Stimme: „Worüber lachst du denn so, das ist eine ersthafte Sache?“

Der andere Engel kicherte weiter und biss fest auf seinen Kaugummi, zog eine Grimasse und grölte dabei los.

„Ich denke gerade über all die Vögel nach, die frei unter dem Himmel leben. Was könnte der Mensch aus den Vögeln wohl Merkwürdiges machen? Wie würde er sie formen? Und wie würde er sie leben lassen. All die Hühner, Puten, Enten oder Gänse. Wird der Züchter würdevoll mit ihrem Körper und ihrem Leben umgehen? Oder wird er die lautstarken Puten so schwer mästen, dass sie das Gewicht ihrer stolzen Brust nach vorne kippen lässt? Oder schau dir die grasenden Rinderherden mit ihren Kälbern an. Der Mensch mag ihre Milch.“ Der Engel krümmte sich vor Lachen und stotterte „Stellt euch doch mal vor, sie hätten plötzlich alle ein Euter so groß und so schwer wie ein Sack, dass jeden Tag über 50 Liter Milch herauskommen können. Ein Kälbchen trinkt gerade mal acht Liter am Tag, das sähe vielleicht lustig aus. Oder oder oder … einige Katzen und Hunde hätten dann vielleicht gar kein Fell mehr, oder kaum noch eine richtige Nase zum Atmen. Platt wie eine Flunder hahahahaaa… Oder der beste Freund des Menschen, die Hunde hätten plötzlich einen riesigen, Schädel, so dass sie nicht mehr auf natürlichem Weg geboren werden können. Oder kurze Stummelbeine und dazu so einen langen verkrüppelten Rücken, so dass sie fast watscheln wie die Enten.” Seine Stimme wurde dabei immer lauter und schriller. „Oder schwere große Ohren, dass sie sich entzünden und man sie beim Fressen nach oben binden muss. Oder der Kopf einiger Hunde wäre so klein, dass ihr Gehirn keinen Platz mehr hat und an der Schädeldecke anstößt.“ Es sprudelte nur so aus ihm heraus, für den Engel war das alles ja nur eine aberwitzige Vorstellung, ein dummer Scherz. Unvorstellbar, dass diese Idiotie jemals wahr werden könnte. Er kringelte sich am Boden und hielt sein Bäuchlein vor lauter Lachen.

 

„Halt ein!“ rief Gott empört. “Halt ein!“ Er schlug seine Faust so hart auf den Tisch, dass sich der Himmel verdunkelte.

„Herr, es tut mir leid, dass war nur ein dummer Spaß“, murmelte der Engel und warf sich auf den Boden.

Gott schmeichelte mit nachgiebiger Stimme: „Ich sehe schon, du hast vollkommen Recht, so dumm ist das gar nicht. Kein einzelner Mensch kann diese Verantwortung alleine übernehmen. Der Mensch würde im Nebel wandeln, blind sein und all das ohne Weitsicht geschehen lassen. ALLE Menschen müssen dafür einstehen und Sorge tragen, dass es den Tieren an nichts mangelt und die Züchter und Wächter ihre Arbeit gut machen! Wie verhelfe ich dem Menschen zu Weitblick und Achtsamkeit?”

 

Sein Blick wanderte unruhig auf der Erde umher und blieb schließlich an einem Wolfsrudel haften. Gott beobachtete die Wölfe mit eiserner Miene. „O Herr!“ sagte der kleine Engel und zupfte ihn zaghaft am rechten Ärmel, „geht schlafen und macht morgen weiter.“

„Ich kann nicht!“ erwiderte der liebe Gott angestrengt: „Schaut nur! Sie sind perfekt! Stark, robust, intelligent und anmutig, so habe ich sie geschaffen. Und so soll es auch bleiben. Der Mensch darf sie sich zum Freund und Helfer formen und ihnen etwas mehr Sanftmut und Treue abverlangen. Aber wehe ihnen, sie machen diese einzigartigen Geschöpfe krank und schwach!“

 

Gott breitete seine Arme aus und blickte zur Erde. „Ich forme nun den Züchter, den Gestalter von Körper und Geist, diesen splitte ich dann in alle Wächter, Farmer, Rancher, Bauern und wie sie sich sonst noch alle nennen werden.“ Mit ausgestrecktem Zeigefinger deutete er auf einen großen Kupferkessel. Entschlossen und mit ernster Miene rief er: „Kommt, lasst uns beginnen!“

„Vater, wie soll dein perfekter Züchter sein?“ Voller Tatendrang spuckte der Engel seinen Kaugummi aus und schleppte den Sack mit all den Zutaten heran.

 

Gott sprach: „Egal, ob Frau oder Mann, sie müssen fleißig, einfühlsam und weitsichtig sein. Sie müssen großen Seelenschmerz ertragen können und unermüdlich sein in dem, was sie leisten. Sie müssen Rückschläge verkraften und Erfolge richtig einordnen können, ohne dabei hochmütig zu sein. Sie müssen Freude an ihrer Arbeit haben, denn wo Freude ist, da ist auch Güte! Ihr Zuspruch soll alles heilen, von der kleinsten Verletzung bis zum Seelenschmerz der Familien und Geschöpfe, die dem Züchter vertrauen. Sie sollten vier paar Hände haben und zwei paar Ohren.“

Der Engel schüttelte entmutigt den Kopf und sagt: „Vier paar Hände, das wird kaum möglich sein!“

„Die Hände machen mir keine Kopfschmerzen,“ sagte der liebe Gott, „aber die drei Paar Augen, die jeder Züchter haben muss.“

„Ist dies wirklich notwendig?“, fragte der Engel.

Der liebe Gott nickte: „Ein Paar, das unermüdlich durch das geschriebene Wort blickt und mit dem Verstand und dem Feingefühl harmoniert, und ein zweites Paar, das sich vom Herzen leiten lässt, um die Jungtiere in die rechten Hände zu geleiten. Das dritte und letzte Paar muss bei Tag und bei der Nacht auf das Rudel gerichtet sein, um jede noch so kleine Veränderung und jede notwendige Verbesserung mit dem Verstand wahrzunehmen und mit dem Herzen umzusetzen.

 

Als alle Zutaten im Kessel vereint waren, formte sich aus zähem Nebel das scheinbar perfekte Züchter-Modell. Es war noch ungeschlechtlich, kein Mann, keine Frau, nur Nebel! Die Engel schritten andächtig um das Modell herum. „Zu weich“, seufzten sie beide im Chor.

„Aber zäh“, sagte der liebe Gott energisch. „Ihr glaubt gar nicht, was dieser Züchter alles leisten und aushalten kann. Er ist flexibel und anpassungsfähig!“

„Ja, aber kann ‚Es‘ auch richtig gut rechnen, an seine eigenen Bedürfnisse denken und wenn es nötig ist auch ‚Nein‘ sagen?“, fragte der kleine Engel.

„Nein, das kann es nicht!“, seufzte der liebe Gott: „Aber ihr habt Recht, auch diese Eigenschaften sind wichtig, sonst wird der Züchter schnell krank und kann nicht für seine eigenen Bedürfnisse und seine Familie sorgen. Nicht auszudenken, wenn es zu allem und jedem nur ‚JA‘ sagen könnte.“

 

Die Drei starrten nachdenklich auf die Kiste mit all den schlechten Charakterzügen und schoben dabei das Modell zurück in Richtung Kupferkessel. Unbemerkt blieb das Kaugummi daran kleben und landete zusammen mit dem unbrauchbaren Modell im Kessel.

„So nun machen wir es besser!“ freuten sich die Engel. „Seid gewarnt! Nur ein ganz klein wenig von diesen Eigenschaften!“ mahnte der liebe Gott. „Eine kleine Brise ist natürlich und gesund, aber schon ein Hauch zu viel und es wird ein schlimmes Ende nehmen. Die Menschen würden erbarmungslos werden und ihre Augen und Ohren wären für die Stimme der Tiere taub und unerreichbar.“

 

Der kleine Engel kramte nach der Profitgier, dem Egoismus und der Hartherzigkeit und formte sie mit spitzen Fingern zu einer glanzlosen, schwarzen Kugel. „Vorsichtig! Ganz vorsichtig!“ mahnte Gott „Nimm die Kugel ganz fest in beide Hände und schabe mit dem Messer drei Staubkörner ab.“

Angespannt beugten sich die drei über den Kessel, um zu kontrollieren, wie Korn für Korn auf die Oberfläche des zähen Breis rieselte. „Genug ! Es ist genug!“ befahl Gott und richtete sich auf. Als der Engel sein Werkzeug löste, brach unbemerkt ein Stück aus der Kugel heraus, sank zu Boden und blieb am Kaugummi haften.

„Rühren!“ Ihr müsst kräftig rühren, damit sich alles gut verteilt und sich in Harmonie und Licht zusammen fügt!“ Mit aller Kraft rührten die beiden Engel und die Masse zerfiel langsam zu feinem, glitzerndem Staub. „Nun ist es gut!“ sprach Gott „Bringt den Kessel ans Himmelstor und lasst den Staub auf all die Züchter der Erde niederregnen!“

 

Die Seelen der Züchter hatten sich schon versammelt um die Gaben des Herrn in sich aufzunehmen. Es war wunderbar anzusehen, als alles in einem glitzernden Regenbogen aus feinen Staub, Licht und Hoffnung eingehüllt war. Die Seelen wandelten sich zu Menschen und viele von ihnen gingen zufrieden ihrer Wege. Sie freuten sich auf ihre neuen Aufgaben, bedankten sich für das Vertrauen das ihnen Gott schenkte und verteilte sich rasch auf der ganzen Erde. Einige der Seelen waren noch nicht ganz zufrieden und blieben länger, um noch mehr von den Gaben in sich aufzunehmen. Sie blieben bis sich auch noch der letzte Rest über sie ergoss, mit dem letzten Staubkorn aber löste sich auch der Kaugummi mit der Profitgier, dem Egoismus und der Hartherzigkeit.

Mit einem schauderhaften Geräusch überzog die glanzlose, zähe, klebrige Masse die Seelen und färbte sie schwarz.

Die beiden Engel fassten sich an den Händen, erstarrten und wagten nicht mehr zu atmen.

 

Gott Vater ging drei Schritte rückwärts, fassungslos hielt er sich die Hand vor Augen und die goldene Träne der Hoffnung rann über seine Wangen.

Wie konnte dies geschehen? Er musste mit ansehen, wie all die schwarzen Seelen in die Welt hinaus strömten. Schnell versteckten sie sich in Hinterhöfen, im Wald oder hinter fragwürdigen Gesetzen.

 

Der kleine Engel nahm seine Hand und flüsterte. „Vater, so schlimm wird es hoffentlich nicht werden, denn sie tragen auch all die guten Gaben in sich. Glaube an die Menschen und ihre inneren Werte! Eines Tages werden das Herz und der Verstand die Oberhand über die Gier und Maßlosigkeit gewinnen. Die reinen Seelen werden für das Gleichgewicht kämpfen und nie müde werden.“

In diesem Moment der Zuversicht erreichte die Träne der Hoffnung die Erde und lichtete die Nebel der Verzweiflung.

 

Gott sprach: „Ich sende ALLEN Tieren Mut, Kraft, Anpassungsfähigkeit, Demut und die Gabe der Vergebung. Das wird helfen, all das zu ertragen, was ihnen jetzt angetan wird. Wenn der Schmerz und die Pein unerträglich werden, werden sie einschlafen und ich hole eins nach dem anderen zu mir zurück.“

Der Engel war untröstlich und weinte bitterlich. Tränen des Mitgefühls liefen über seine Wangen, fielen zu Boden und vereinten sich mit der Träne der Hoffnung und formten das Wort „LEBEN“ was rückwärts gelesen nichts anders als „NEBEL“ heißt.

 

©  RC Silke Löffler

Rosebud of Crana

Ich wünsche mir, dass viele Menschen diese Geschichte lesen und einen Moment darüber nachdenken. Leben ist wertvoll und es liegt in unsrer aller Verantwortung! Nicht nur in der der anderen …

 

 

 

 

 

Alles, was ich auf dieser Welt sehe,

höre, berühre und glaube, befindet sich

in meinem eigenen Herzen

(Khalil Gibran)